Videoanalyse: Schnitt für Schnitt zum (Beweis-)Video


Die filmische Inszenierung stellt immer einen Ausschnitt aus einer mehr oder weniger dramaturgisch zusammengesetzten Wirklichkeit dar. I.G.s. zu Kamerafahrten wirken Schnitte immer härter und direkter. In der dokumentarfilmtypischen Arbeit besteht die Gefahr, dass Statements leicht in einen falschen Zusammenhang gerückt werden, um sie der gewünschten Aussage eines Films anzupassen.

Werden Einstellungen um eines Effektes willen gekürzt oder geglättet, verliert der Film schnell seine Authentizität. Manipulative Änderungen gehen so weit, ganze Handlungsstränge neu aneinanderzureihen, um damit andere Aussagen zu erreichen. Durch Aneinanderreihung gedrehter Einstellungen entstehen später Schnittstellen, die jedoch nicht einer Montage gleichzusetzen sind. Sie besitzen lediglich dokumentarischen Charakter i.S.v. einer (vollständigen) Übernahme abgedrehter Rohaufnahmen.

Bei der Analyse muss zunächst festgestellt werden, welche Funktion ein Filmschnitt besitzt: den eines unsichtbaren Handlungsstrangs in einer Montage (Inszenierung, beispielsweise bei einem Spielfilm, Musikclip, Dokumentarfilm), den einer Aneinanderreihung von Rohmaterial aus einer Videokamera (Materialdokumentation) oder den einer manipulativen, ideologischen Veränderung von Handlungsabläufen, beispielsweise bei einem gefakten Beweismittel (Manipulation).

Synthese

Ein Auflösen filmischer Handlungen in Einstellungen bedient sich einer bestimmten „Grammatik“. Diese regelt, zur Einhaltung von Filmkontinuität, schematisch Kamerapositionen und Brennweiten für definierte Handlungstypen. Der ästhetisch-technisch perfekten Filmmontage liegt eine unsichtbare, für die Handlung kontinuierlich fortsetzende, organische Schnitttechnik zugrunde (Découpage classique = in Einstellungen denkend, segmentierend). Ziel der Découpage classique ist das Unsichtbarmachen des geschnittenen Films für ein Höchstmaß an Illusion. Die Filmindustrie bedient sich hierfür eines umfangreichen Regelkatalogs und Einstellungsschemata. In diesen Fällen wird der Schnitt als ein wichtiges Gestaltungsmittel eingesetzt, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Filmschnitt oder Filme schneiden bezeichnet die ausführende Handlung, die das filmische Rohmaterial in montierbare Einstellungen zerlegt und anschließend zu Sequenzen zusammenfügt. Die Montage setzt vorhandene Stücke neu zusammen und schafft eine augenscheinliche Kontinuität (Synthese).

Analyse

Die Fragmentierung von Einstellungen hinsichtlich ihres trennenden, zerteilenden Aspekts, löst die Produktionseinstellungen aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen heraus, um sie für neue Zusammenhänge verfügbar zu machen. Diese Betrachtungsweise ist immer eine analytische und wird von sog. Cuttern durchgeführt.

Videoaufnahmen, die einer Beweiswürdigung zugeführt werden, sind häufig Handyaufnahmen von Privatpersonen oder dokumentarische Videoaufnahmen aus Polizeieinsätzen (Demonstrationen, Kundgebungen, Aufstände etc.). Enthalten solche Aufnahmen Schnitte, werden diese zur Abwehr des Beweismittels ebenso häufig in einen Zusammenhang mit einer Manipulation gebracht. Denkbar sind u. a. daten- und kontextbezogene Eingriffe aber auch eine nicht fachgerechte (Weiter-)Verarbeitung der Videoaufnahmen.

Manipulation

Bei den datenbezogenen und technischen Manipulationen handelt es sich meist um Eingriffe in die Datei- und Metadatenstruktur (Verändern und Löschen von EXIF- und anderen Metadaten) und in die Bildfrequenz (Entnahme oder Reduzierung von Einzelbildern etc.).

EXIF Create Date
Metadatenauszug mit manipuliertem Aufnahmedatum

Liegen Materialkonvertierungen vor, weichen diese von den Rohaufnahmen ab. Bei kontextbezogenen Manipulationen stehen Gestaltungsmittel, insbesondere Schnitt, Montage und Effekte in Bild und Ton im Fokus (Zusammenhang, Stimmigkeit, inhaltliche Logik, inhaltliche Eigenschaft des Bildes). Ein Filmschnitt kann in der technischen Analyse nachvollzogen werden. Luminanz, Belichtung, Farbton und Sättigung werden in verschiedenen Videosignaldarstellungen (Scopes) beurteilt.

Scopes Wellenform
Scope-Analyse: Wellenform-Monitor mit breitem Kontrastverhältnis der RGB-Farbkurven

Bewertung

Die Bewertung der Bilddateien erfolgt auf Grundlage videoforensischer Analysemethoden. Bei der Bewertung kommt es darauf an, Manipulationen zu erkennen (Verlust der Ursprünglichkeit). Bei kontextbezogenen Eingriffen als Gestaltungsmittel handelt es sich insbesondere um Schnitte (Auslassungen), Effekte (z. B. Überdeckungen) und veränderte Bildreihenfolgen (Inszenierungen). Datenbezogene Eingriffe zeigen i.d.R. eine veränderte Metadatenstruktur.

Die Fragestellung

Wurde das vorgelegte Beweisvideo geschnitten bzw. manipuliert?

Task: Gerichtsgutachten im Strafverfahren